Dienstag, 22. Mai 2012

Das Dilemma "der Linken"


Nach den beiden Niederlagen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ist die Debatte um die zukünftige Führung der Partei „Die Linke“ vollends entbrannt.  Auf der 1.Tagung der III. Parteitages am 2./3. Juni soll ein neuer Parteivorstand gewählt werden.  Die nun immer offener geführten Personaldiskussionen symbolisieren dabei die Krise, in der die Partei derzeit steckt.
Bereits im November kündigte der ehemalige Bundesgeschäftsfüher Dietmar Bartsch seine Kandidatur zum Posten des Parteivorsitzenden an.  In  den bürgerlichen Medien wird Bartsch als sogenannter "Reformer" bezeichnet, was in Wirklichkeit für einen eher rechtsgerichteten Kurs innerhalb der Partei steht.  Unterstützung  erhält  Bartsch vor allem aus den ostdeutschen Landesverbänden der „Linken“. Mehr oder weniger Prominente Fürsprecher sind unter anderem der ehemalige Parteivorsitzende Lothar Bisky, der Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns Steffen Bockhahn oder Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow. Dass Bartsch gerade von ostdeutschen Linksparteifunktionären Unterstützung erhält, ist kein Zufall. Hier wird vor allem auf Landesebene versucht, Koalitionen mit der SPD einzugehen. Die  offiziellen Begründungnen für eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der bürgerlichen SPD sind die üblichen Phrasen: „Politik lebt von Mitgestaltung“, „Man dürfe sich der Verantwortung nicht entziehen“ oder „Als fundamentalopposition lässt sich nichts bewirken.“ Der eigentliche Grund für den Schmusekurs der Ost-„Linken“ mit  der SPD aber auch mit den  Grünen dürte aber wohl eher die Aussicht auf gut dotierte Posten und karrierefördernde Kontakte sein.  Mit Dietmar Bartsch als einem der  beiden Vorsitzenden der Linken wären auch auf Bundesebene die Weichen auf Rot-Rot (-Grün) gestellt. Dieser ist immerhin Duzfreund von Ex-SPD-Generalsekretär Hubertus Heil und wird von SPD-Partei-Chef Sigmar Gabriel „ein Ausdnahmetalent in der deutschen Politik“ genannt.  Auch inhaltlich steht Bartsch für eine Anbieberung an die Positionen der bürgerlichen Parteien.  So will er den von der „Linken“ im Parteiprogramm geforderten Truppenabzug aus Afgahnistan keineswegs „schon übermorgen“.
Ein anderer Altbekannter, der mit einer Kandidatur zum Bundesvorsitzenden liebäugelt, ist  Oskar Lafontaine. Lange hatte dieser gezögert, sich überhaupt zu einer möglichen Kandidatur zu äußern. Nun wäre er eventuell bereit. Allerdings will  er keine Kampfkandidatur gegen  Dietmar Bartsch, sondern nur antreten, wenn Bartsch seinerseits auf eine Kandidatur verzichtete und unter ihm Vize-Vorsitzender der Partei würde. Lafontaine erhält primär Unterstützung für eine Kandidatur im „linken“ Flügel der Partei (u.a. Kommunistische Plattform, Antikapitalistische Linke) und bei westdeutschen Landesverbänden. Lafontaine  ist sicherlich kein Linksradikaler. In der Kriegsfrage zum Beispiel ist er von der aufweichenden Position Bartschs gar nicht so weit entfernt, wenn er die Schaffung eines sogenannten „Willy-Brandt-Friedenscorps“ fordert. Auch  stand er einer Fusion von  WSAG und PDS vor der Bundestagswahl 2005 noch etwas skeptisch gegenüber, da der Name der PDS das Wort „Sozialismus“ enthielt, von dem er sich damals distanzieren wollte. Lafontaine ist zudem ein Vertreter des sogenannte Keynesianismus – ein Wirtschaftsmodell, das darauf abzielt, Krisen im Kapitalismus mit staatlicher Investitions-, Fiskal- und Geldpolitik entgegenzuwirken. Neben der Tatsache, dass Staaten schon immer versuchten, mit diversen Maßnahmen Krisen abzumildern und der gleichzeitigen Utopie, dass dies im Kapitalismus ginge, sieht eine radikale Gegenerschaft zum kapitalistischen System jedenfalls anders aus.
Populärste Unterstützerin Lafontaines  ist übrigens seine Lebensgefährtin Sarah Wagenknecht, die wohl aus taktischen Gründen  auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Theoretisch wären mit ihr und Bartsch als Doppelspitze alle Quoten der Partei, was die Besetzung des Vorstandes angeht, erfüllt.  Neben den offiziellen Vorgaben nach einer Frau/Mann- sowie Ost/West-Spitze spielt auch die informelle, aber bedeutende Flügelzugehörigkeit eine Rolle, wonach Wagenknecht den „linken“ Flügel repräsentieren würde. Im Allgemeinen macht die Quotierung den „Linken“ sorgen, denn neben Wagenknecht, die sich viele Mitglieder als Vorsitzende vorsellen könnten, gibt es noch kaum potentielle Kandidatinnen für das höchste Parteiamt. Angekündigt hat sich bisher nur die Bundestagsabegeordnete Sabine Zimmermann. Andere Namen, die im Raum stehen für den weiblichen Part, sind die bisherige Vizevorsitzende Katja Kipping, Bundesgeschäftsführerin Caren Lay oder auch die Bundestagsabgeordnete Dagmar Enkelmann.

Das Hauptproblem „der  Linken“ dürfte aber nicht die Quotierung sein. Diese macht das Prozedere zur Wahl des Vorsitzendenpaars zwar komplizierter, doch das eigentliche Problem liegt in der inhaltlichen Ausrichtung der Partei. Eine verstärkte Regierungsbeteiligung wie Dietmar Bartsch und ein großteil der ostdeutschen Funktionäre sie befürworten, hat der Partei in der Vergangenheit jedenfalls nur (Vertrauens) Verluste eingebracht. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel erreichte die damalige PDS noch 1998 264.000 der Zweitstimmen. Danach beteiligte sie sich in zwei Legislaturperioden an „Rot-Roten“ Landesregierungen und bekamm 2006 letztendlich nur noch 137.000 Zweitstimmen. Ähnlich erging es der PDS/Linken in Berlin. Hier erhielt sie bei der Abgeordnetenhauswahl 2001 noch 366.000 Zweitstimmen, um nach zehn Jahren Koalition mit der SPD auf 171.00 bei der Wahl 2011 abzusacken. Diese Verluste erklären sich vor allem dadurch, dass die Linke/PDS, sobald sie sich an einer Regierung beteiligt, sich genauso den Interessen der Kapitalisten anpassen muss, wie jede andere Regierungspartei auch. Und dies geht so gut wie immer gegen die Interessen ihres Wählerklientels, die Arbeiter, Angestellten und Arbeitslosen. In Berlin trug die Linke zum Beispiel die massenhafte Privatisierung von Sozialwohnungen mit, was sprudelnde Gewinne für Immobilienspekulanten brachte, jedoch eine Verschärfung der Wohnraumproblematik in Berlin für die Bevölkerung.  Ein weiteres Beispiel "linker" Kollaboration ist Brandenburgs Wirtschaftsminister Christoffers (Linke), der ein ausgesprochener Verfächter der Emissionsschleuder Braunkohleverbrennung ist und zudem für den Einsatz der gefährlichen unterirdischen CO² Speicherung in Brandenburg eintritt.
Zurecht kritisiert  also z.B. Sahra Wagenknecht, dass ein Abzielen auf Regierungsbeteiligungen im Endeffekt die Linke überflüssig machen würde. Eine weitere bürgerliche Blockpartei, wie sie Bartsch  und Co vorschwebt, würde höchstwahrscheinlich bald ein jähes Ende finden, da allgemein ein Trend des sich Abwendens von SPD/CDU/CSU/Grüne/FDP  zu beobachten ist. Gaben bei den Bundestagswahlen 2002 noch 44.620.000 Menschen einer dieser fünf Parteien ihre Stimme, waren es 2005 nur noch 41.312.000 und 2009 gerade einmal noch 36.560.000. Ein Blick auf die Mitgliederstatistiken beweist ähnliches. Während die SPD 1990 noch 943.000 Mitglieder hatte, hat sie sich zum Jahr 2011 nahezu auf 499.000 halbiert.  Die CDU erreichte 1993 ihren Nachwendezenit mit 685.000 Mitgliedern, steht im Jahr 2011 allerdings auch nur noch bei 500.000. Wenn man die Mitgliederzahlen aller fünf eben genannten Parteien addiert, kommt man für das Jahr 1995 auf einen Wert von 1.707 Millionen Mitgliedern. Dieser sank dann zum Jahr 2011 auf 1.259 Millionen.  Gerade weil die „Linke“ bislang einen relativ scharfen Oppositionskurs zu diesen Parteien eingeschlagen hat, konnte sie zumindest bei Wahlergebnissen relativ gut abschneiden. Die Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn von 10 Euro, dem Abzug aller deutschen Truppen aus dem Ausland, einer Auflösung der NATO, einer Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich und das Verbot aller  faschistischen Organisationen sind Forderungen, die die „Linke“ von den anderen im Parlament vertretenen Parteien abheben. Gerade dieser Umstand  macht sie auch attraktiv für diejenigen, die realisieren, dass CDU/CSU/SPD/Grüne/FDP eben die Interessen der Kapitalisten auf Kosten der breiten Massen vertreten.
Jedoch liegt das Dilemma der „Linken“ nicht nur darin, dass der rechte Flügel die Partei anpassen möchte. Auch von Vertretern der sogenannten „Fundis“, wie Partei"linke" in bürgerlicher Presse abschätzig genannt werden, kommt viel Illusionäres, was an der kapitalistschen Realität vorbei geht. In ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ lobt Sarah Wagenknecht ausdrücklich, die „Soziale Marktwirtschaft“ unter Ludwig Erhard. Eine Einführung eines sozialen Kapitalismus ist allerdings unter den Bedingungen des internationalen Konkurrenzkampfes der Monopole eine Illusion. Ebenso wie die „Kontrolle der Finanzmärkte“ oder die „Verstaatlichung von Banken“. Zugeständnisse an die Arbeiterklasse und die Unterdrückten werden die Kapitalisten nur machen, wenn sie durch die breiten Massen dazu gezwungen werden. Ein parlamentarischer Beschluss, wie von einigen „Linken“ erträumt, wird sie wohl kaum dazu veranlassen. Insofern würde auch ein „Linkskurs“ der Linkspartei die Menschen enttäuschen, wenn sie sich vornehmlich auf parlamentarische Arbeit konzentriert bzw. auf eine Kapitalismusreform. 
Auch wenn im Kampf zwischen Anbiederung an die bürgerlichen Parteien und parlamentarischer Fundamentalopposition sicherlich letzteres zu bevorzugen ist, ist „die Linke“ auch mit grundlegenden Problemen konfrontiert, die den Typus ihrer Partei charakterisieren. So ist nicht nur das inhaltliche Auseinanderklaffen zwischen den Flügeln ein Problem, sondern auch die bloße Existenz von diesen. Eine Partei, die nicht geschlossen agiert und auftritt, dezimiert letztendlich ihre Schlagkraft. Zudem büßt sie an Überzeugungsfähigkeit nach Außen ein, da nicht immer klar ist, wofür die Partei inhaltlich eigentlich steht. Desweiteren führt die Flügel-oder Fraktionenbildung fast automatisch auch zu einer Seilschaftsbildung. Dies ist auch bei anderen Parteien zu beobachten. Als Beispiele seien die Seeheimer bei der SPD, die „Realos“ und „Fundis“ bei den Grünen oder der Andenpakt in der CDU genannt.  Der Effekt ist immer der gleiche. Mitglieder eines Flügel unterstützen sich gegenseitig bei der Vergabe von Posten und versuchen, andere auszustechen. Hierbei steht das karrieristische Streben natürlich im Vordergrund. Eine Legitimation des Polikers durch wirklich demokratische Wahlen, eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Parteibasis und den Wählern sowie der selbstlose Einsatz für die Interessen der Wähler werden durch Klüngel und Seilschaften nicht nur erschwert sondern nahezu unmöglich gemacht. Trotzdem führen Auseinandersetzungen zwischen innerparteilichen Strömungen, wie jetzt bei den „Linken“ oft nicht zur Spaltung. Beiden Strömungen ist bewusst, dass der Einzug in Parlamente und somit, die Aussicht auf Posten, staatliche Finanzierung und Medienpräsenz nur erreicht werden kann, wenn man gemeinsame Sache macht. Ansonsten würden beide mögliche Nachfolgeparteien riskieren, marginalisiert zu werden.
Ein weiteres Problem der „Linken“ ist ihre mangelnde ideologisch-politische Klarheit, die ihr in vielen Situationen zum Verhängnis wird. Ein Beispiel ist die Diskussion um die Bezüge des amtierenden Parteichefs Klaus Ernst. Dieser lässt sich neben den Vergütungen,  die er als Bundestagsabgeordneter erhält, nämlich auch noch als Parteichef kräftig bezahlen. Dies brachte ihm dann den Spitznamen „Luxuslinker“ ein. Hätte die Partei klare Statuten, wie viel ein Funktionär erhalten darf, dann wäre diese peinliche Debatte niemals aufgekommen. Außerdem müsste von vornherein klar  sein, dass für einen linken Politiker ein extravaganter Lebensstil nicht in Frage kommt, wenn man den Bezug zur Basis nicht verlieren will.
Ebenso war die Kommunismusdebatte nach Gesine Lötzschs JungeWelt Interview vom 03.01. 2011 ein Beispiel für die Konzeptlosigkeit der Partei. Hätte Gesine Lötzsch die angesprochenen Wege zum Kommunismus ernst gemeint, dann hätte auch die Partei, sowie sie selbst bei der daraug folgenden antikommunistischen Hetztirade zum Gesagten geschlossen stehen müssen. Stattdessen gab es ein Herumlavieren von verschiedenen Funktionsträgern, mit dem Ziel sich irgendwie schon vom Schreckgespenst Kommunismus zu distanzieren, aber dann doch nicht so ganz.  Schließlich gewinnt eine gesellschaftliche Alternative in Krisenzeiten des Kapitalismus bedeutend an Aufwind und viele Wähler der „Linken“ würden sich selbst wohl auch als Kommunisten bezeichnen.
Das hin und her Driften zwischen Anpassung an die Linie der bürgerlichen Parteien und einer radikaleren, oppositionelleren Haltung wird auch bei der „Antisemitismusdebatte“  deutlich. Nachdem muslimische Fundamentalisten auf der  Internetpräsenz der Kreisverbandes Duisburg, ohne dessen Wissen einen Link zu einer antisemitichen Seite postierten, wurde ungeachtet der Umstände sofort eine Verleumdung- und Hetzkampagne gegen „die Linke“ inszeniert. Trotz der offensichtlichen Absurdität der Vorwürfe, es gäbe antisemitische Tendenzen in der Partei, gelang es nicht, den Vorwürfen offensiv zu widersprechen. Aus Angst von bürgerlichen Medien und Parteien noch weiter geschmäht zu werden, ließ Fraktionschef Gysi lieber die Bundestagsabgeordneten eine Erklärung unterschreiben, die es unter anderem Verbot an der Gaza-Hilfsflotte teilzunehmen. Nebst der Tatsache, dass der Hilfkonvoi für Gaza kein Akt des Antisemitismus ist, hätte die Verleumdungskampagne eher dazu genutzt werden können, den anderen Parteien ihre Verstrickungen zu faschistischen und rassistischen Bewegungen vor Augen zu führen.
Das Grundproblem "der Linken" taucht in all diesen Beispielen wieder auf. Es ist der Widerspruch zwischen linker Rhethorik und Außendarstellung auf der einen Seiten und dem sich Einfügen in die bürgerlich-kapitalistischen Gegebenheiten auf der anderen Seite. Die Auseinandersetzung zwischen dem „linken“ und dem „rechten“ Parteiflügel bildet dabei keineswegs die zwei Seiten des Widerspruch ab. Der Flügelkampf ist mehr Symptom des Widerspruchs. Auch die Vertreter des „linken“ Flügels wollen es sich in Parlamentsesseln bequem machen und hoffen auf eine parlamentarische Reformierung des Kapitalismus. Einzig in der Art und Weise wie die Reform durchgeführt werden soll, unterscheiden sich die Flügel. Schlussendlich wird „die Linke“ ihr Grundproblem nicht lösen können und es wird immer wieder in der einen oder anderen Form auftauchen. Eine linke Partei, die den Kapitalismus nicht  durch Revolution abschaffen will, muss entweder anfangen, genaus dies doch zu wollen oder aufhören, eine linke Partei sein zu wollen. Ansonsten macht sie sich auf die Dauer lächerlich und unglaubwürdig und wie alle anderen bürgerlichen Parteien auch– überflüssig.

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