Montag, 11. März 2013

Mit Verlaub ihr Grünen


Der ARD war es sogar eine Doku wert.  Heute vor 30 Jahren zogen die Grünen erstmalig in den deutschen Bundestag ein. Begleitet von großer Euphorie und der Hoffnung auf eine Veränderung der als festgefahren angesehenen Politik in der BRD. Für sich in Anspruch nehmen die Grünen, die deutsche Parteienlandschaft nachhaltig verändert zu haben. Und das können sie mit Fug und Recht behaupten, denn schließlich sitzen sie mittlerweile als  „Bündnis 90/ Die Grünen“ im Bundestag sowie in allen Landesparlamenten. Aber das ist auch schon das Bemerkenswerteste an einer Partei, die trotz aller Beteuerungen so viel Positives erreicht zu haben, genauso loyal zum Kapitalismus steht wie SPD oder CSU.
Jedoch muss zugegeben werden, dass die Grünen bereits bei ihrer Gründung  1980 keine ihrem Selbstverständnis nach antikapitalistische Partei waren. In ihr versammelten sich Vertreter verschiedener Protestbewegungen der damaligen Zeit u.a. aus der Umwelt-, der Anti-AKW-, Friedens- oder der Feminismusbewegung. Zentrale Anliegen waren darum anfangs auch die Abschaffung der Nutzung von Kernenergie, einseitige Abrüstung der BRD, Gleichstellung von Frau und Mann, sowie die Forderung nach sozialstaatlichen Reformen. Innerhalb der Partei sollte Basisdemokratie vorgelebt werden, indem Mandatsträger keine zusätzlichen Parteiämter ausüben durften oder umgekehrt. Weiterhin wurde ein Rotationsprinzip eingeführt, wonach Mandate und Führungspositionen nach einer bestimmten Zeit neu besetzt werden mussten. Insgesamt vertraten die Grünen in ihrer Anfangszeit viele fortschrittliche Positionen, die sie durchaus von den parlamentarisch etablierten Parteien unterschieden. Allerdings spielten ebenso kleinbürgerlich-naive Ideen eine große Rolle, wie etwa der pazifistische Grundsatz, in keinem Falle Gewalt anzuwenden. Zudem fanden sich durch die heterogene Zusammensetzung der Mitglieder auch viele diffuse bis reaktionäre Standpunkte wieder. So strebten beispielweise Radikalökologen eine Deindustrialisierung an, die  sie als einziges Mittel gegen die zunehmende Umweltzerstörung ansahen. Von Jutta Ditfurth als „Ökofaschisten“ bezeichnete Gruppen wiederum vertraten esoterische und nationalistische Standpunkte. Weiterhin gehörte das prominente Parteimitglied Petra Kelly zu den sogenannten „Lebensschützern“, die gegen das Recht auf Abtreibung antreten. Im Zuge der „sexuellen Revolution“, in der auch viele berechtigte Forderungen gestellt wurden, wie das Ende der Strafbarkeit von Homosexualität,  wurde zwischenzeitlich sogar im Wahlprogramm der Grünen Nordrhein-Westfalen die Legalisierung von sexuellen Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen angestrebt.
Gemeinhin gelten die 80er Jahre als die Zeit, als die Grünen eher radikal waren, da besonders im Bundesvorstand die abschätzig „Fundis“ genannten Ökosozialisten bzw. Parteilinke dominant waren, wohingegen die Bundestagsfraktionen eher von den „Realos“ beherrscht wurden.  Die zentralen Streitpunkte zwischen den Flügeln beinhalteten vor allem, welches Gewicht auf parlamentarischer Arbeit bzw. außerparlamentarischem Kampf liegen sollte und inwieweit Kompromisse und Zusammenarbeit mit den etablierten Partei legitim sind. Die Jahre 1990/91 waren letztendlich die entscheidende Zäsur für die Grünen. Der linke Parteiflügel forcierte 1990 einen Bundestagswahlkampf, der die durch den Mauerfall aufgeworfene „Deutsche Frage“ (mögliche Wiedervereinigung bzw. zukünftiges Verhältnis zweier deutscher Staaten) weitgehend ignorierte. Dies wird häufig als Grund für das knappe Scheitern an der 5-Prozent Hürde angegeben und wurde dem linken Parteiflügel um Jutta Ditfurth und Rainer Trampert angelastet. Dies gab dem rechten oder „Realo“ Flügel um Joschka Fischer den entscheidenden Auftrieb, um die Partei inhaltlich gänzlich so auszurichten, dass Regierungsbeteiligungen möglich wurden und die Partei nicht mehr als enfant terrible in den Augen der bürgerlichen Parteien galt. Dies und die folgenden Parteiaustritte vieler Linker waren im Endeffekt der Grundstein für die Partei, wie sie auch heute noch existiert.

Rückblickend war die erste, „linke“ Phase der Grünen trotz vieler unterstützenswerter Ansätze zum Scheitern verurteilt, auch wenn mancher Altaktivist „von damals“ sie sich zurück wünschen mag. Die teils sehr heftig geführten Flügelkämpfe legten nahe, dass eigentlich kaum Gemeinsamkeiten existierten, die ein gemeinsames politisches Vorgehen sinnvoll machten. Lediglich die Einsicht, dass man bei einer Spaltung kaum in die Parlamente hätte einziehen können, war wohl ausschlaggebend für die befremdlich wirkende Allianz zwischen Wertkonservativen, Karrieristen, Opportunisten, Hippies, K-Gruppen, Exsozialdemokraten, Pazifisten und vieler anderer.
Die zwischenzeitliche dominierenden linken Positionen und Personen in der Partei bekamen vor allem dank der in den 80ern noch starken links gerichteten Bewegungen Auftrieb. Höhepunkte dieses linken Protestes waren z.B. die Massendemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss oder der aktive Widerstand gegen die Atomkraft. Linke Positionen waren sozusagen, auch durch die noch nicht zu lange zurück liegende 68er Bewegung „en vogue“. Allerdings waren die vor allem kleinbürgerlichen xund spontaneistischen Bewegungen kaum gewappnet gegen politische Rückschläge. So beschloss der Bundestag 1983 trotz heftiger Gegenproteste die Stationierung der Pershing-II Raketen (NATO-Doppelbeschluss), was vielen Friedensaktivisten zeitweilig den Mut nahm, da der Eindruck entstand, der Widerstand führe letztendlich doch zu nichts. Desweiteren wurden verschiedene Protestformen gegen die Atomkraft auch gewaltsam unterdrückt, wie z.B. die Stürmung der „Republik Freies Wendland“ zeigte, worauf die stark pazifistisch ausgerichtete Anti-AKW Bewegung kaum zu reagieren wusste. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks schließlich schienen gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus sowieso diskreditiert, da damals allgemein angenommen wurde, der Pseudo-Sozialismus in der DDR oder Sowjetunion sei wirklich eine sozialistische Gesellschaft. Das mauvaismot vom „Ende der Geschichte“ war in aller Munde. Insofern ist es wenig überraschend, dass die „Realos“ früher oder später Aufwind erhalten mussten, da sie die Orientierungslosigkeit vieler fortschrittlicher Menschen damals ausnutzen konnten, um den parlamentarischen Weg  (oder auch die Anpassung an realpolitische Sachzwänge zur vernünftigen Kompromissfindung als bestem Mittel zur schrittweisen Veränderung) als einzige Möglichkeit darzustellen.
Heute nun sind die Grünen an den „Fleischtöpfen“ dran, an die Daniel Cohn-Bendit immer wollte. Sieben Jahre Bundesregierung, Beteiligung an derzeit sechs Landesregierungen, Fraktionen in allen Parlamenten, Abgeordnete im Europaparlament. Aber in einem sei man sich immer trotzdem treu geblieben: „Die Zukunft auf den Weg zu bringen, dafür stand und steht grüne Politik“. Es ist also klar, das  Adjektiv „grün“ lässt sich nicht einfach durch „liberal“, „christdemokratisch“, oder „sozialdemokratisch“ austauschen, denn diesen inhaltsschweren Satz: „Die Zukunft auf den Weg bringen“ hat man wohl noch nie vorher auf einem der zig tausend Wahlplakate irgendeiner Partei gelesen. Die Grünen werde aber auch nicht müde, zu betonen, dass die „Flegeljahre“ nun hinter ihnen lägen und man dabei auch Lehrgeld habe zahlen müssen, dass „schmerzhafte Kompromisse“ nun mal notwendig seien, denn schließlich müssten Mehrheiten „organisiert“ werden.  Gleichzeitig  „stehen sie fest zu ihren Grundsätzen und kämpfen engagiert für ihre Umsetzung“. Das kann ihnen auch getrost geglaubt werden, in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Grundsätze mit „Born to be Green“ viel Raum für „pragmatische“ Interpretation lassen.
Diesen Pragmatismus bewiesen die Grünen dann auch in ihren Regierungsjahren von 1998-2005, die – na klar – eine „Erfolgsgeschichte“ waren. Besonders stolz sind sie heute noch auf den als Atomausstieg deklarierten „Atomkonsens“. Extrem konsensfähig wie die Grünen halt waren, machten sie den deutschen AKWs nicht gleich ein Ende machte, sondern bescherten den Energiekonzernen noch weitere Jahre Profit aus Atomstrom mit sogenannten „Restlaufzeiten“. Umweltminister war damals der heutige Fraktionsvorsitzende und CO-Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Der verurteilte dann auch in seiner Ministerfunktion jeglichen Protest gegen die andauernden Castor-Transporte. Dass nur weil jetzt ein Grüner Umweltminister war, der Atommüll nicht weniger gefährlich war und die weiter laufenden AKWs auch weiterhin ein enormes Risiko darstellten, wollte Herrn Trittin wohl nicht in den Kopf. Aber damit nicht genug. Nachdem dann die schwarz-gelbe Regierung 2010 die Laufzeitverlängerung der AKWs beschlossen hatte, waren die Grünen in Gorleben zumindest wieder medienwirksam präsent. Einhellig begrüßten die Parteigranden nun die zuvor noch als illegitim angesehenen Proteste gegen die Castortransporte. Man zog sogar mit dem markigen Slogan: „Sicher ist nur das Risiko“ durch die Lande. Inhaltlich zwar sehr richtig, doch die Frage stellt sich, warum diese Erkenntnis nicht schon während der eigenen Regierungszeit reifte. Die im grünen realpolitisch abgesteckten Horizont des Machbaren angesiedelten Kompromisse lassen sich auch noch weiter fortführen: Kriegseinsätze in Jugoslawien (1998) und Afghanistan (2001) – hier wird unter Tränen zu den Waffen gegriffen, um- O-Ton Ex-Außenminister Fischer- „ein zweites Auschwitz“ zu verhindern; Agenda 2010(2003) und Hartz IV (2004) – bekanntlich die Grundsteinlegung für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands (oder eher seiner Kapitalisten) auch in der Wirtschaftskrise. Aber auch in der Landespolitik ist auf Grün verlass. Die Hamburger Variante der Grünen (GAL) zum Beispiel sah sich trotz erklärter Gegnerschaft von den Sachzwängen so gezwungen, dass das Kohlekraftwerk Moorburg dann leider doch gebaut werden musste. Tja, und da sie dann schon einmal begriffen hatten, wie Sachzwänge und andere Unvermeidbarkeiten in der Politik funktionieren, wurde die Elbvertiefung gleich mit abgesegnet. Aus dem Dilemma, nicht ganz die Versprechen des Wahlkampfes eingehalten zu haben, kommen die Grünen in Baden-Württemberg etwas besser heraus. Vorher hatten sie noch gegen das Großprojet Stuttgart 21 gewettert und betont, es stoppen zu wollen. Nach der Wahl gab es dann eine „Volksabstimmung“ dazu, die zum Glück das Ergebnis brachte, dass das Land Ba-Wü nicht aus der Finanzierung des Projektes aussteigen sollte. Dagegen, dass diese Abstimmung das Projekt Stuttgart 21 als solches sowieso nicht zum Gegenstand hatte, sowie das vorher seitens der Bahn massiv Propaganda zu eigenen Gunsten betrieben wurde, werden die Grünen wohl kaum etwas gehabt haben. Und darum wundert es auch nicht, das Ministerpräsident Kretschmann die Proteste in bester Mappus-Manier von der Polizei bekämpfen und kriminalisieren lässt.

Und die Gefälligkeitsdokumentation von ARD? Den grünen Protagonisten von heute wird viel Zeit gegeben, zu betonen wie reif sie doch alle als PolitikerInnen und als Partei geworden seien. Winfried Kretschmann muss darin unbedingt betonen, wie kalt es ihm doch den Rücken herunterlaufe, wenn er mit sogenannten „Fundamentalisten“ konfrontiert sei. Damit meint er vornehmlich nicht religiöse Fundamentalisten, die man wohl in Baden-Württemberg auch hin und wieder antreffen kann, sondern den ehemaligen linken Flügel der Partei.  Von diesen sogenannten Fundamentalisten kommt übrigens kein ehemaliges Parteimitglied in der Dokumentation zu Wort. Dafür aber Ex-Grüner und späterer SPD-Innenminister und Antiterrorgesetzdurchpeitscher (noch so ein schönes Gesetz, dem die Grünenfraktion mehrheitlich zugestimmt hat) Otto Schily. Der darf sich sogar entblöden, seinen eigenen autoritären Führungsstil zu rühmen. Claudia Roth, heutige Parteivorsitzende, muss dann aber auch noch mal anmerken, dass sich die Grünen von allen anderen etablierten Parteien unterschieden. Inwiefern sich die Grünen denn nun von der FDP oder der CDU unterscheiden ließ sie aber offen. Vielmehr findet sie legitim, auch Macht zu wollen. Das einzig erheiternde an der Dokumentation ist Hans-Christian Ströbeles Anekdote aus Kreuzberg, wo er erzählt, dass ihm die Passanten zurufen, wann er denn endlich bei den Grünen austrete. Ansonsten gibt’s noch Geschichten von Marieluise Beck (man muss sie nicht kennen), die Tode von Petra Kelly und Gerd Bastian, irgendeinen Politikwissenschaftler, Jürgen Trittin mit Neunziger Jahre Schnauzbart und na klar Joschka Fischer in der Kneipe, Joschka Fischer beim Farbbeutelanschlag und Joschka Fischer mit dem Kommentar zum Bundestagspräsidenten: „Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“. Zu diesem Ausspruch steht voller Stolz auf der Grünen Homepage:Streitlustig und - wo es sein muss - respektlos. Die Grünen bringen einen neuen Stil ins hohe Haus“.
Dazu kann abschließend nach 33 Jahre Grüner Partei, nach 26 Jahren Grüner Bundestagsfraktion und nach sieben Jahren Regierungsbeteiligung, aber vielmehr nach Hartz IV, Restlaufzeiten für AKW, Kriegseinsätzen, Bürgerrechtsbeschränkungen, Agenda 2010, Waffenexporten auch nach Saudi-Arabien, „Öko“-Steuer gesagt werden: Mit Verlaub ihr Grünen, euch mit dieser zwar etwas unästhetischen, aber biologisch extrem wichtigen Körperöffnung zu betiteln, wäre doch eine zu große Schmach für diese Organ, das im Gegensatz zu euch Kot nur ausscheidet und ihn nicht auch noch produziert.