Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in den Onlineportalen der deutschen „Leitmedien“ mindestens ein neuer Artikel über sie veröffentlicht wird. Die Piraten gelten als die neuen Durchstarter im bundesrepublikanischen Politikbetrieb.
Und ihre Anziehungskraft kommt nicht von ungefähr. Die zunehmende staatliche Überwachung stößt insbesondere jungen Menschen übel auf. Die Piraten haben in dieser Hinsicht klar Stellung bezogen und lehnen Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung öffentlicher Plätze, Onlinedurchsungen privater PCs und Einschränkungen von Versammlungsfreiheit ab. Zudem setzen sich die Piraten für freieren Zugang zu geistigen Waren wie wissenschaftlichen Arbeiten, Musikdateien und Softwareprogrammen ein. In den Mainstreammedien werden diese Forderungen allerdings kaum erwähnt. Hingegen versucht man die Zustimmung zu den Piraten auf ein neues „Netzgefühl“ zu reduzieren, was die „Generation Internet“ von den etablierten Parteien entfremdet hätte. Fakt ist jedoch, dass es weniger um Lifestylediskrepanzen geht, als um eine zunehmende Kritik der Massen an Bespitzelung, Repression und Kommodifizierung des öffentlichen Raums. Außerdem hat sich die Piratenpartei Transparenz groß auf die Fahnen geschrieben, was ebenfalls auf viele Menschen mit demokratischem Bewusstsein attraktiv wirken dürfte. Schließlich gerät das scheindemoratische Täuschungssystem der BRD immer mehr in die Krise, da es immer offensichtlicher wird, dass die Bevölkerung in entscheidenden Fragen nichts zu sagen hat. Sei es nun die überwältigende Ablehnung des Afghanistankrieges, die Forderung nach einem Verbot der faschistischen NPD oder der Massenwiderstand gegen die Atomenergie; der Mehrheitswille wird konsequent ignoriert und sogar offen bekämpft. Von dieser Situation können die Piraten profitieren, indem sie die „verkrusteten“ Strukturen der etablierten Parteien kritisieren und für mehr demokratische Mitbestimmung werben.
Allerdings sind die scheinbare Unangepasstheit der Piraten, wie auch ihre radikal verändernd wirkenden Forderungen nicht so abseits des Mainstream, wie gerne vermittelt wird. Nicht umsonst ist die Berichterstattung über die selbst ernannten Freibeuter größtenteils positiv, obwohl sie eigentlich durch ihre bloße Existenz das parlamentarische System eher destabilisieren. Denn wenn angenommen wird, dass die Piraten künftig in allen Parlamenten mit ca. 10% der Stimmen vertreten sein werden, dann wird die Regierungsbildung im allgemeinen schwieriger. Gerade in einer sich neu abzeichnenden Wirtschaftskrise sind knappe Parlamentsmehrheiten wie z.B. die der Kraft/Löhrmann Regierung in NRW ungünstig, um Krisenlasten auf die Bevölkerung abzuwälzen. Da stören zu viele Kleinparteien eigentlich eher.
Jedoch hat der zunehmende Masseneinfluss der Piraten auch einen entscheidenden Vorteil; er lenkt den Protest gegen Missstände in geordnete Bahnen. Wer sich auf Parlamentswahlen und Debatten im Plenarsaal konzentriert, hat kein wirksames Mittel, um den Interessen der Monopolkapitalisten ernsthaft etwas entgegen zu setzen. Ein Beispiel dafür ist, dass eine Rot-Grüne Bundesregierung trotz aller Beteuerungen nicht in der Lage war, ein einziges Atomkraftwerk abzuschalten. Hingegen haben massenhafte Blockaden und Demonstrationen mittlerweile dazu geführt haben, dass acht Atomkraftwerke außer Betrieb genommen werden mussten. Genausowenig wie man auf ein Ende der Atomenergie durch grüne Regierungsbeteiligung hoffen konnte, werden die Piraten in der Lage sein, über parlamentarische Wege den Abbau demokratischer Rechte zu verhindern oder die staatliche Bespitzelung rückgängig zu machen.
Das Emporkommen der Piratenpartei steht vor allem für die Illusion, dass innerhalb des bestehenden System etwas grundlegend geändert werden könne. Die Piraten sind also objektiv gesehen systemerhaltend, denn ihr Anspruch zur Veränderung bleibt auf Reformismus beschränkt. Das geben sie letztendlich auch offen zu. Bei der Befragung zum Wahlomaten für die Bundestagswahl 2009 war das offizielle Statement zur Frage, ob die Demokratie wie sie in der BRD existiere, die beste Staatsordnung sei: „Wir bekennen uns uneingeschränkt zur freiheitlich demokratischen Grundordnung.“ Dass in Wirklichkeit die bestehende Ordnung weder etwas mit Demokratie noch mit Freiheit für die Masse der Menschen zu tun hat, das prangern die Piraten nicht an. Sie entblöden sich sogar, die immer wieder wiederholten Lebenslügen von Freiheit und Demokratie im Kapitalismus zu verbreiten.
Die Verbundenheit der Piraten mit dem Kapitalismus zeigt sich auch an ihrer Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Was auf den ersten Blick als fortschrittlicher und im Interesse der Werktätigen sinnvoller Standpunkt daher kommt, ist in Wirklichkeit ein Täuschungsmanöver zur Versöhnung der Massen mit dem Kapitalismus. Beim anfänglichen Betrachten scheint ein bedingungsloses Grundeinkommen, einen von der Not zu befreien, Jobs zu schlechten Arbeitsbedingungen oder Niedriglöhnen annehmen zu müssen. Schließlich könnte man ja jederzeit von seinem Grundeinkommen leben, sodass die Kapitalisten Arbeitsplätze attraktiv gestalten müssten, damit überhaupt noch jemand eine Arbeitstelle annimmt. Im Falle einer Einführung würde ein bedingungsloses Grundeinkommen den Kapitalisten jedoch keinesfalls ein Dorn im Auge sein. Im Gegenteil, viele könnten sich damit wohl sehr gut anfreunden. Denn zum einen müssen die Mittel für dieses Grundeinkommen aus Steuergeldern finanziert werden, welche wiederum Abzüge vom Lohn der Werktätigen sind. Die Kapitalisten würden also keinen einzigen Cent zu diesem Grundeinkommen beisteuern. Es ist allerdings nicht einzusehen, warum die ArbeiterInnen und Angestellten mit ihren Beiträgen und Abgaben eine Armut abwenden müssen, die durch die Niedriglohn- und Rationalisierungspolitik der Kapitalisten hervorgerufen wird. Um Armut im Kapitalismus zu bekämpfen, sind höhere Löhne, niedrigere Wochenarbeitsstunden und verbesserter Kündigungsschutz bessere Maßnahmen. Denn sie fallen den Profiten der Bourgeoisie zur Last und verbessern die Situation der Ausgebeuteten.
Letztendlich ist ein bedingungsloses Grundeinkommen nur ein Modell, dass es in abgewandelter Form schon lange gibt. Derzeit wird es als „Kombilohn“ bezeichntet und kommt zur Anwendung wenn voll berufstätige Menschen von ihrem Lohn nicht leben können und somit mit Hartz IV „aufstocken“ müssen, um über dem Existenzminimum zu sein. Die Kapitalisten könnten sich also durch die Existenz eines Grundeinkommens einen Teil der Lohnkosten sparen.
Es bleibt außerdem fragwürding ob ein bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt zum Leben reichen würde. Neben der Gefahr, dass die reale Kaufkraft des Einkommens durch Inflation eklatant gesenkt werden könnte, gibt es eine Reihe indirekter Maßnahmen, die ein Überleben mit Grundeinkommen schwierig gestalten können. Sei es nun eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Kürzung von Zuschüssen für Sozialleistungen oder die Erhöhung von Beiträgen und Abgaben jeglicher Art; das Grundeinkommen könnte schnell eine Kostenumverteilung anstatt einer Existenzsicherung werden.
Auch wenn den Piraten von der Konkurrenz der anderen bürgerlichen Parteinen oft vorgeworfen wird, eine „Ein-Thema-Partei“ zu sein oder zu entscheidenden Fragen wie dem „Eurorettungsschirm“ oder dem Afghanistankrieg kein Konzept zu haben, so haben sie mit ihren bisherigen Programmpunkten eindeutig bewiesen, dass sie sich nahtlos in die gleichgeschaltete parlamentarische Parteienlandschaft der BRD einfügen werden. Ob die Mitglieder und Anhänger der Piraten nun aus Naivität oder (Selbst-) Täuschung einen Systemwandel innerhalb des System anstreben, ist schwer zu sagen. In jedem Fall ist der Aufschwung der Piraten mehr der Ausdruck einer zunehmenden Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen als das Aufkommen einer neuen politschen Kraft mit Veränderungspotenzial.
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