Der ARD war es sogar eine Doku wert. Heute vor 30 Jahren zogen die Grünen
erstmalig in den deutschen Bundestag ein. Begleitet von großer Euphorie und der
Hoffnung auf eine Veränderung der als festgefahren angesehenen Politik in der
BRD. Für sich in Anspruch nehmen die Grünen, die deutsche Parteienlandschaft
nachhaltig verändert zu haben. Und das können sie mit Fug und Recht behaupten,
denn schließlich sitzen sie mittlerweile als
„Bündnis 90/ Die Grünen“ im Bundestag sowie in allen Landesparlamenten.
Aber das ist auch schon das Bemerkenswerteste an einer Partei, die trotz aller
Beteuerungen so viel Positives erreicht zu haben, genauso loyal zum
Kapitalismus steht wie SPD oder CSU.
Jedoch muss zugegeben werden, dass die Grünen bereits bei
ihrer Gründung 1980 keine ihrem
Selbstverständnis nach antikapitalistische Partei waren. In ihr versammelten
sich Vertreter verschiedener Protestbewegungen der damaligen Zeit u.a. aus der
Umwelt-, der Anti-AKW-, Friedens- oder der Feminismusbewegung. Zentrale
Anliegen waren darum anfangs auch die Abschaffung der Nutzung von Kernenergie,
einseitige Abrüstung der BRD, Gleichstellung von Frau und Mann, sowie die
Forderung nach sozialstaatlichen Reformen. Innerhalb der Partei sollte
Basisdemokratie vorgelebt werden, indem Mandatsträger keine zusätzlichen
Parteiämter ausüben durften oder umgekehrt. Weiterhin wurde ein
Rotationsprinzip eingeführt, wonach Mandate und Führungspositionen nach einer
bestimmten Zeit neu besetzt werden mussten. Insgesamt vertraten die Grünen in
ihrer Anfangszeit viele fortschrittliche Positionen, die sie durchaus von den
parlamentarisch etablierten Parteien unterschieden. Allerdings spielten ebenso
kleinbürgerlich-naive Ideen eine große Rolle, wie etwa der pazifistische
Grundsatz, in keinem Falle Gewalt anzuwenden. Zudem fanden sich durch die
heterogene Zusammensetzung der Mitglieder auch viele diffuse bis reaktionäre
Standpunkte wieder. So strebten beispielweise Radikalökologen eine
Deindustrialisierung an, die sie als
einziges Mittel gegen die zunehmende Umweltzerstörung ansahen. Von Jutta
Ditfurth als „Ökofaschisten“ bezeichnete Gruppen wiederum vertraten esoterische
und nationalistische Standpunkte. Weiterhin gehörte das prominente
Parteimitglied Petra Kelly zu den sogenannten „Lebensschützern“, die gegen das
Recht auf Abtreibung antreten. Im Zuge der „sexuellen Revolution“, in der auch
viele berechtigte Forderungen gestellt wurden, wie das Ende der Strafbarkeit
von Homosexualität, wurde
zwischenzeitlich sogar im Wahlprogramm der Grünen Nordrhein-Westfalen die
Legalisierung von sexuellen Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen
angestrebt.
Gemeinhin gelten die 80er Jahre als die Zeit, als die Grünen
eher radikal waren, da besonders im Bundesvorstand die abschätzig „Fundis“
genannten Ökosozialisten bzw. Parteilinke dominant waren, wohingegen die
Bundestagsfraktionen eher von den „Realos“ beherrscht wurden. Die zentralen Streitpunkte zwischen den
Flügeln beinhalteten vor allem, welches Gewicht auf parlamentarischer Arbeit
bzw. außerparlamentarischem Kampf liegen sollte und inwieweit Kompromisse und
Zusammenarbeit mit den etablierten Partei legitim sind. Die Jahre 1990/91 waren
letztendlich die entscheidende Zäsur für die Grünen. Der linke Parteiflügel
forcierte 1990 einen Bundestagswahlkampf, der die durch den Mauerfall
aufgeworfene „Deutsche Frage“ (mögliche Wiedervereinigung bzw. zukünftiges
Verhältnis zweier deutscher Staaten) weitgehend ignorierte. Dies wird häufig
als Grund für das knappe Scheitern an der 5-Prozent Hürde angegeben und wurde
dem linken Parteiflügel um Jutta Ditfurth und Rainer Trampert angelastet. Dies
gab dem rechten oder „Realo“ Flügel um Joschka Fischer den entscheidenden
Auftrieb, um die Partei inhaltlich gänzlich so auszurichten, dass
Regierungsbeteiligungen möglich wurden und die Partei nicht mehr als enfant
terrible in den Augen der bürgerlichen Parteien galt. Dies und die folgenden
Parteiaustritte vieler Linker waren im Endeffekt der Grundstein für die Partei,
wie sie auch heute noch existiert.
Rückblickend war die erste, „linke“ Phase der Grünen trotz
vieler unterstützenswerter Ansätze zum Scheitern verurteilt, auch wenn mancher
Altaktivist „von damals“ sie sich zurück wünschen mag. Die teils sehr heftig
geführten Flügelkämpfe legten nahe, dass eigentlich kaum Gemeinsamkeiten
existierten, die ein gemeinsames politisches Vorgehen sinnvoll machten.
Lediglich die Einsicht, dass man bei einer Spaltung kaum in die Parlamente
hätte einziehen können, war wohl ausschlaggebend für die befremdlich wirkende
Allianz zwischen Wertkonservativen, Karrieristen, Opportunisten, Hippies,
K-Gruppen, Exsozialdemokraten, Pazifisten und vieler anderer.
Die zwischenzeitliche dominierenden linken Positionen und
Personen in der Partei bekamen vor allem dank der in den 80ern noch starken
links gerichteten Bewegungen Auftrieb. Höhepunkte dieses linken Protestes waren
z.B. die Massendemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss oder der aktive
Widerstand gegen die Atomkraft. Linke Positionen waren sozusagen, auch durch
die noch nicht zu lange zurück liegende 68er Bewegung „en vogue“. Allerdings
waren die vor allem kleinbürgerlichen xund spontaneistischen Bewegungen kaum
gewappnet gegen politische Rückschläge. So beschloss der Bundestag 1983 trotz
heftiger Gegenproteste die Stationierung der Pershing-II Raketen
(NATO-Doppelbeschluss), was vielen Friedensaktivisten zeitweilig den Mut nahm,
da der Eindruck entstand, der Widerstand führe letztendlich doch zu nichts. Desweiteren
wurden verschiedene Protestformen gegen die Atomkraft auch gewaltsam
unterdrückt, wie z.B. die Stürmung der „Republik Freies Wendland“ zeigte,
worauf die stark pazifistisch ausgerichtete Anti-AKW Bewegung kaum zu reagieren
wusste. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks schließlich schienen
gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus sowieso diskreditiert, da
damals allgemein angenommen wurde, der Pseudo-Sozialismus in der DDR oder
Sowjetunion sei wirklich eine sozialistische Gesellschaft. Das mauvaismot vom
„Ende der Geschichte“ war in aller Munde. Insofern ist es wenig überraschend,
dass die „Realos“ früher oder später Aufwind erhalten mussten, da sie die
Orientierungslosigkeit vieler fortschrittlicher Menschen damals ausnutzen
konnten, um den parlamentarischen Weg (oder
auch die Anpassung an realpolitische Sachzwänge zur vernünftigen Kompromissfindung
als bestem Mittel zur schrittweisen Veränderung) als einzige Möglichkeit
darzustellen.
Heute nun sind die Grünen an den „Fleischtöpfen“ dran, an
die Daniel Cohn-Bendit immer wollte. Sieben Jahre Bundesregierung, Beteiligung
an derzeit sechs Landesregierungen, Fraktionen in allen Parlamenten,
Abgeordnete im Europaparlament. Aber in einem sei man sich immer trotzdem treu
geblieben: „Die Zukunft auf den Weg zu bringen, dafür stand und steht grüne Politik“.
Es ist also
klar, das Adjektiv „grün“ lässt sich
nicht einfach durch „liberal“, „christdemokratisch“, oder „sozialdemokratisch“
austauschen, denn diesen inhaltsschweren Satz: „Die Zukunft auf den Weg
bringen“ hat man wohl noch nie vorher auf einem der zig tausend Wahlplakate
irgendeiner Partei gelesen. Die Grünen werde aber auch nicht müde, zu betonen,
dass die „Flegeljahre“ nun hinter ihnen lägen und man dabei auch Lehrgeld habe
zahlen müssen, dass „schmerzhafte Kompromisse“ nun mal notwendig seien, denn
schließlich müssten Mehrheiten „organisiert“
werden. Gleichzeitig „stehen sie fest zu ihren Grundsätzen und
kämpfen engagiert für ihre Umsetzung“. Das kann ihnen auch getrost geglaubt
werden, in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Grundsätze mit „Born to be Green“
viel Raum für „pragmatische“ Interpretation lassen.
Diesen
Pragmatismus bewiesen die Grünen dann auch in ihren Regierungsjahren von
1998-2005, die – na klar – eine „Erfolgsgeschichte“ waren. Besonders stolz sind
sie heute noch auf den als Atomausstieg deklarierten „Atomkonsens“. Extrem
konsensfähig wie die Grünen halt waren, machten sie den deutschen AKWs nicht
gleich ein Ende machte, sondern bescherten den Energiekonzernen noch weitere
Jahre Profit aus Atomstrom mit sogenannten „Restlaufzeiten“. Umweltminister war
damals der heutige Fraktionsvorsitzende und CO-Spitzenkandidat Jürgen Trittin.
Der verurteilte dann auch in seiner Ministerfunktion jeglichen Protest gegen
die andauernden Castor-Transporte. Dass nur weil jetzt ein Grüner
Umweltminister war, der Atommüll nicht weniger gefährlich war und die weiter
laufenden AKWs auch weiterhin ein enormes Risiko darstellten, wollte Herrn
Trittin wohl nicht in den Kopf. Aber damit nicht genug. Nachdem dann die
schwarz-gelbe Regierung 2010 die Laufzeitverlängerung der AKWs beschlossen
hatte, waren die Grünen in Gorleben zumindest wieder medienwirksam präsent.
Einhellig begrüßten die Parteigranden nun die zuvor noch als illegitim
angesehenen Proteste gegen die Castortransporte. Man zog sogar mit dem markigen
Slogan: „Sicher ist nur das Risiko“ durch die Lande. Inhaltlich zwar sehr
richtig, doch die Frage stellt sich, warum diese Erkenntnis nicht schon während
der eigenen Regierungszeit reifte. Die im grünen realpolitisch abgesteckten
Horizont des Machbaren angesiedelten Kompromisse lassen sich auch noch weiter
fortführen: Kriegseinsätze in Jugoslawien (1998) und Afghanistan (2001) – hier
wird unter Tränen zu den Waffen gegriffen, um- O-Ton Ex-Außenminister Fischer-
„ein zweites Auschwitz“ zu verhindern; Agenda 2010(2003) und Hartz IV (2004) –
bekanntlich die Grundsteinlegung für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands
(oder eher seiner Kapitalisten) auch in der Wirtschaftskrise. Aber auch in der
Landespolitik ist auf Grün verlass. Die Hamburger Variante der Grünen (GAL) zum
Beispiel sah sich trotz erklärter Gegnerschaft von den Sachzwängen so
gezwungen, dass das Kohlekraftwerk Moorburg dann leider doch gebaut werden
musste. Tja, und da sie dann schon einmal begriffen hatten, wie Sachzwänge und
andere Unvermeidbarkeiten in der Politik funktionieren, wurde die Elbvertiefung
gleich mit abgesegnet. Aus dem Dilemma, nicht ganz die Versprechen des
Wahlkampfes eingehalten zu haben, kommen die Grünen in Baden-Württemberg etwas
besser heraus. Vorher hatten sie noch gegen das Großprojet Stuttgart 21
gewettert und betont, es stoppen zu wollen. Nach der Wahl gab es dann eine „Volksabstimmung“
dazu, die zum Glück das Ergebnis brachte, dass das Land Ba-Wü nicht aus der
Finanzierung des Projektes aussteigen sollte. Dagegen, dass diese Abstimmung
das Projekt Stuttgart 21 als solches sowieso nicht zum Gegenstand hatte, sowie
das vorher seitens der Bahn massiv Propaganda zu eigenen Gunsten betrieben
wurde, werden die Grünen wohl kaum etwas gehabt haben. Und darum wundert es
auch nicht, das Ministerpräsident Kretschmann die Proteste in bester
Mappus-Manier von der Polizei bekämpfen und kriminalisieren lässt.
Und
die Gefälligkeitsdokumentation von ARD? Den grünen Protagonisten von heute wird
viel Zeit gegeben, zu betonen wie reif sie doch alle als PolitikerInnen und als
Partei geworden seien. Winfried Kretschmann muss darin unbedingt betonen, wie
kalt es ihm doch den Rücken herunterlaufe, wenn er mit sogenannten „Fundamentalisten“
konfrontiert sei. Damit meint er vornehmlich nicht religiöse Fundamentalisten,
die man wohl in Baden-Württemberg auch hin und wieder antreffen kann, sondern
den ehemaligen linken Flügel der Partei. Von diesen sogenannten Fundamentalisten kommt
übrigens kein ehemaliges Parteimitglied in der Dokumentation zu Wort. Dafür
aber Ex-Grüner und späterer SPD-Innenminister und Antiterrorgesetzdurchpeitscher
(noch so ein schönes Gesetz, dem die Grünenfraktion mehrheitlich zugestimmt
hat) Otto Schily. Der darf sich sogar entblöden, seinen eigenen autoritären
Führungsstil zu rühmen. Claudia Roth, heutige Parteivorsitzende, muss dann aber
auch noch mal anmerken, dass sich die Grünen von allen anderen etablierten
Parteien unterschieden. Inwiefern sich die Grünen denn nun von der FDP oder der
CDU unterscheiden ließ sie aber offen. Vielmehr findet sie legitim, auch Macht
zu wollen. Das einzig erheiternde an der Dokumentation ist Hans-Christian
Ströbeles Anekdote aus Kreuzberg, wo er erzählt, dass ihm die Passanten
zurufen, wann er denn endlich bei den Grünen austrete. Ansonsten gibt’s noch
Geschichten von Marieluise Beck (man muss sie nicht kennen), die Tode von Petra
Kelly und Gerd Bastian, irgendeinen Politikwissenschaftler, Jürgen Trittin mit
Neunziger Jahre Schnauzbart und na klar Joschka Fischer in der Kneipe, Joschka
Fischer beim Farbbeutelanschlag und Joschka Fischer mit dem Kommentar zum
Bundestagspräsidenten: „Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“. Zu
diesem Ausspruch steht voller Stolz auf der Grünen Homepage: „Streitlustig
und - wo es sein muss - respektlos. Die Grünen bringen einen neuen Stil ins
hohe Haus“.
Dazu kann abschließend nach 33
Jahre Grüner Partei, nach 26 Jahren Grüner Bundestagsfraktion und nach sieben Jahren
Regierungsbeteiligung, aber vielmehr nach Hartz IV, Restlaufzeiten für AKW,
Kriegseinsätzen, Bürgerrechtsbeschränkungen, Agenda 2010, Waffenexporten auch
nach Saudi-Arabien, „Öko“-Steuer gesagt werden: Mit Verlaub ihr Grünen, euch
mit dieser zwar etwas unästhetischen, aber biologisch extrem wichtigen
Körperöffnung zu betiteln, wäre doch eine zu große Schmach für diese Organ, das
im Gegensatz zu euch Kot nur ausscheidet und ihn nicht auch noch produziert.